Pittsburgh – Der Österreicher Manfred Honeck (57) gilt als einer der bedeutendsten Dirigenten der Welt. Seit 2008 ist er Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra, wo er sich bis 2020 verpflichtet hat. Am (heutigen) Freitag gastiert er mit seinen Musikern in Hannover – es ist der Beginn einer Tournee mit 14 Konzerten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien.
Frage: Was können die Menschen von Ihrer Europa-Tournee erwarten, was ist das Spezielle am Pittsburgh Symphony Orchestra?
Antwort: Es hat eine Energie, ich kenne kaum ein anderes Orchester, das so zugreifen kann, das so energiegeladen und fundiert spielen kann, mit einer rhythmischen Präzision. Und dann kommt die Interpretation hinzu und da bin ich einer, der gerne die Menschen überrascht.
Frage: Sind Sie mit all ihrer Erfahrung noch nervös vor Auftritten wie diesen?
Antwort: Nein. Also ich habe ja viele, viele Premieren in meinem Leben gehabt und eines ist mir geschenkt worden: Dass ich, wenn ich auf die Bühne komme, überhaupt nicht nervös bin. Gott sei Dank.
Frage: Haben Sie Rituale in der Vorbereitung?
Antwort: Ich bete vor Auftritten. Dann haben mich Musiker angesprochen und gefragt, ob sie mit mir beten dürfen. Mittlerweile hat sich das so eingebürgert, dass ich ganz erstaunt bin, dass oft 50 Leute vor Auftritten in meine Maestro-Suite kommen. Manche jüdisch, Muslime, die einfach kommen und mit mir ein Gebet sprechen. Ich finde das so schön, weil ich habe das nicht erzwungen oder inszeniert, sondern die Leute haben das gesehen und sind auf mich zugekommen.
Frage: Wie unterscheiden sich die Reaktionen des Publikums in den USA und Europa?
Antwort: Die Leute leben sehr unterschiedlich. Sie pflegen ihre Traditionen unterschiedlich. Temperatur spielt eine ganz große Rolle – ob man in Skandinavien ist oder in den südlichen Ländern, das macht einen großen Unterschied, im Temperament und in der Spielweise. In Amerika greift man vielleicht ein bisschen mehr zu, hier sind auch die Speisen etwas größer. Immer wenn ich eine Torte bestelle, bin ich schockiert – in Wien sind die Torten ja sensationell gut, aber sie sind auch ein bisschen kleiner. Hier in den USA wird auch musikalisch gesehen manchmal tiefer in die Tasche gegriffen, sie haben eine Freude zuzugreifen – unglaublich! Die Menschen in Amerika sind unglaublich emotional, sie reagieren so wunderschön, sie können so enthusiastisch sein, das spüre ich immer wieder in meinen Konzerten.
Frage: Ihr Dirigentenstil wirkt eher ruhig und besonnen, oder trügt der Eindruck?
Antwort: Natürlich greife ich zu, wenn es angebracht ist. Aber es hat keinen Sinn, da herumzutanzen wie ein Clown. Es geht um den Inhalt, nicht um den Herrn Honeck, den Maestro.
Frage: Wieviel macht der Dirigent aus?
Antwort: Ein Super-Orchester wird immer sehr schön spielen, aber ein Dirigent hat die Aufgabe, das letzte aus den Musikern rauszuholen, die Menschen zum Klingen zu bringen.
Frage: Hören Sie als Experte die Stile verschiedener Dirigenten heraus?
Antwort: Eigentlich ja. Es wird aber immer schwieriger, weil eine gewisse Globalisierung stattfindet, sowohl im Klang als auch in der Spielweise, wo man bald nicht mehr unterscheiden kann. Ich hasse nichts mehr als das Durchschnittliche ohne Botschaft. Die politische Korrektheit hat in der Musik nichts verloren, aber sie liegt ein bisschen im Trend. Ja nicht wehtun, ja nicht all das Forte und Fortissimo.
Frage: Dirigenten gelten als Einzelgänger – stimmt das?
Antwort: Es gibt schon Freundschaften. Aber wir begegnen uns natürlich selten. Ich finde, wir machen uns zu wichtig. Da ist ein Mythos aufgebaut worden, mit dem Maestro, das ist eigentlich nicht notwendig. Es hat sich so eingebürgert, ich habe mich auch selber dran gewöhnt. Natürlich ist es wichtig, dass ein Dirigent Führungspersönlichkeit ist, die Richtung vorgibt und die Menschen führt. Aber wir müssen uns immer auch im Klaren sein: Ohne Mozart, Beethoven, Mahler und Bruckner wären wir nichts. Das sind die Helden! Und es ist manchmal erschreckend, wenn man auf Plattencovers ganz groß den Dirigenten sieht und dann vielleicht noch das Porträt und ganz klein Mozart. Ich finde das falsch.
Frage: Sie leben in Österreich, sind Chefdirigent in Pittsburgh, haben Auftritte auf der ganzen Welt und sechs Kinder – wie organisiert man so ein Leben?
Antwort: Dafür hat ein Dirigent einen Manager und das ist notwendig. Ich weiß schon, was ich 2019 mache. Gerade gestern habe ich mit meinem Manager über 2020 gesprochen. Das ist unser Leben.
(Die Fragen stellte Christina Horsten, dpa)
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Link:
➜ https://www.pittsburghsymphony.org
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