(Zusammenfassung)
Baden-Baden (mh) – Das Eröffnungsfest der Kindermusikwelt "Toccarion" lockte am Muttertags-Wochenende rund 3.000 Besucher ins Festspielhaus Baden-Baden. Auf 600 Quadratmetern können Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren im ehemaligen Fürstenbahnhof nun die Welt der Klänge spielerisch entdecken.
Das Toccarion (vom italienischen "toccare" – berühren) bietet eine Instrumenten-Sammlung und zahlreiche interaktive Musikspiele. Es ist in die Themenbereiche Naturklang, Stimme, Rhythmus und Orchesterinstrumente unterteilt. Sowohl die Einrichtung dieser Dauer-Ausstellung als auch die aufwendige Restaurierung und Renovierung der historischen Räume wurde mit rund vier Millionen Euro von der gemeinnützigen Sigmund Kiener Stiftung in Baden-Baden getragen. Die Stiftung übernimmt auch die jährlichen Unterhaltskosten von rund 250 000 Euro.
Auf edlen Terrazzoböden toben Kinder, von den stuckverzierten, denkmalgeschützten Wänden hallen quietschende Posaunentöne; in einem anderen Raum hängen Deckenstrahler und Beamer unter feinsten Malereien. Diese Hochleistungsprojektoren zaubern ein virtuelles Orchester auf eine Riesenleinwand, während auf dem Boden die dazugehörigen Stimmgruppen aufleuchten. In der Mitte schwenken kleine Nachwuchs-Dirigenten eifrig den digitalen Taktstock und versuchen, zur Musik von Beethoven oder Johann Strauß den richtigen Rhythmus zu finden. Wird das Bild unscharf, dann sitzt der Schlag noch nicht richtig und es muss nachgebessert werden.
Doch nicht nur das: Die leuchtenden Symbole für Holzbläser, Streicher, Blech – sie müssen von anderen Kindern berührt werden, denn sonst verschwinden die entsprechenden Musiker vom Bildschirm, und der Klang dünnt aus. Die Kinder reagieren sofort darauf und springen von Feld zu Feld. "Bei diesem Spiel ist es uns wichtig zu zeigen, dass der Dirigent nicht nur für den Rhythmus zuständig ist, sondern auch verschiedene Musiker zusammenbringen muss", erklärt Rüdiger Beermann, der Leiter des Education-Programms am Festspielhaus Baden-Baden. Für die Einrichtung des Toccarions, so erläutert er, habe man mit führenden Erfindern auf dem Gebiet der interaktiven Musikinstallationen aus Europa und den USA zusammengearbeitet. Viele der Spiele wurden speziell für das Toccarion weiter entwickelt oder gänzlich neu geschaffen, das virtuelle Orchester gehört dazu.
Alle Top-Künstler ins Toccarion schicken
Diese Verbindung aus neugierigen Kindern und edlem Ambiente, aus Tradition und modernster Technik – sie ist charakteristisch für den Anspruch des Festspielhauses. Denn hier legt man Wert auf eine Balance zwischen Hochkultur und Hinwendung zur Jugend: "Das ist eine feste Säule der Baden-Badener Festspiel-Idee geworden," sagt Intendant Andreas Mölich-Zebhauser. "Wir wollen zum Mitmachen animieren, da man erst durch die eigene Erfahrung auch den Genuss an den Leistungen anderer steigern kann". Deshalb werde er sich dafür einsetzen, "die Top-Künstler alle ins Toccarion zu schicken, damit sie in Kontakt mit den Kindern kommen". Auch Workshops wird es künftig geben – Singen mit Rolando Villazón zum Beispiel.
Es gehe darum, sagt Mölich-Zebhauser, die Kinder zu motivieren, "selbst zu Künstlern zu werden oder zumindest zu begeisterten Zuhörern". Dass man im Rahmen eines Education-Programms mit Weltstars aufwarten kann, die den Kindern durch ihr außergewöhnliches Können Lust auf Musik machen – das ist ein Alleinstellungsmerkmal des Festspielhauses.
Mit dem "Toccarion" nutzt man gezielt den Spiel- und Bewegungstrieb der Kinder, damit sie die Welt der Klänge selbst entdecken können – und damit fügt man dem ohnehin umfangreichen Education-Programm eine weitere Facette hinzu. Für den Unternehmer Sigmund Kiener ist dieses Projekt eine Herzensangelegenheit. Im Kindesalter hat der Baden-Badener Kultur-Mäzen seine Leidenschaft für die Musik entdeckt, und diese hat ihn seither nicht mehr losgelassen; mittlerweile ist er Vorsitzender des Stiftungsrates im Festspielhaus. "Kinder brauchen kreative Räume, um Musik erleben zu können. Sie gehen gestärkt durchs Leben, wenn sie Musik frühzeitig erfahren".
Beim Eröffnungsfest drängeln sich teilweise die Kinder vor den Stationen. "Mein Eindruck ist: Die sind begeistert. Die probieren alles aus", sagt eine Betreuerin. Der interaktive Tanzboden ist beispielsweise bei den Mädchen besonders beliebt. Im Rhythmus der Musik leuchten bunte Felder auf, die Kinder müssen zunächst dem Takt folgen – erst dann werden sie weitergeleitet. Nebenan gibt es Klangchips: Diese können mit Percussion-Elementen aufgeladen werden, oder man versucht es mit der eigenen Stimme: "Ich bin cool", schreit einer der Knirpse ins Mikrofon. Dann legen die Kinder die Chips auf eine runde Platte und beobachten fasziniert, welche "Komposition" dabei herauskommt, wenn sich der Rhythmus-Radar über die Klangbausteine bewegt.
"Walking Piano" für das Toccarion weiterentwickelt
Ein Stockwerk darüber springen die Kinder derweil unentwegt über das "Walking Piano" – ein begehbares Klavier, dessen Tasten beim Abspielen der Töne einzeln aufleuchten. Remo Saraceni, der Erfinder des Pianos, hat sein Instrument bereits für den Film "Big" mit Tom Hanks gebaut und für das Toccarion nun weiterentwickelt. Zur Eröffnung ist er nach Baden-Baden gekommen, und er strahlt begeistert über diese "Laborsituation, die wir hier haben".
Auch die echten Instrumente sind beliebt bei den Kindern: Einmal eine Geige in die Hand nehmen und sich dabei fühlen wie Anne-Sophie Mutter? Kein Problem, die Räume beherbergen eine ganze Streicherfamilie; auch Holz- und Blechbläser gibt es, sogar eine Harfe.
Vor den Kindern ist nichts sicher. Alles, was so aussieht, als könne es Töne oder Geräusche machen, wird neugierig betastet und bewegt. "Absolut genial", ruft eine Mutter begeistert, die mit ihren Kindern gerade Luft durch eine Röhre pumpt, um damit zwei "Stimmbänder" aus Gummi in Bewegung zu setzen. Daneben steht neugierig ein fünfzehnjähriges Mädchen: "Schon cool, was es hier alles zu sehen gibt. Das Ganze ist zwar eher für Jüngere, aber mir macht das immer noch Spaß."
Von jetzt an beginnt im Toccarion der Regelbetrieb – dann wird ein Teil des Baden-Badener Musentempels tagsüber zum Spielplatz für musikbegeisterte Kinder. Das Angebot richtet sich an Kindergärten, Grund- und Musikschulen oder Musikvereine. Nach vorheriger Anmeldung werden die Kinder in Gruppen (bis zu 25 Personen) durch die Ausstellung geführt und dabei von Fachkräften betreut. Jede Führung nimmt auf das Alter der Kinder Rücksicht. Der Eintritt kostet drei Euro. An Wochenenden wird die individuelle Teilnahme an Führungen angeboten. Nähere Informationen unter neben stehendem Link oder unter www.festspielhaus.de
(Von Christine Gehringer. Der Bericht ist zuerst im PAMINA Magazin erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin veröffentlicht.)
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