München (MH) – Ein Ambiente vom Charme eines Rechenzentrums. Eine Elīna Garanča, die bei ihrer Paradearie "Oh! Mon Fernand!" über aufgehäufte Holzstühle steigt und deswegen auch stimmlich wenig Eindruck machen kann – die Konzentration liegt wohl beim Klettern. Drei überzeugende Männer(stimmen) als ihre Lebensbegleiter und ein Orchester, das die Partitur solide abarbeitet, stellenweise brilliert. Das ist die Bilanz der "La Favorite"- Premiere am Sonntagabend an der Bayerischen Staatsoper.
Gaetano Donizettis späte Oper ist die erste Neuinszenierung dieser Saison und nach der Premiere meint man zu wissen, warum sie hundert Jahre in München nicht zu sehen war. Krude, diese Geschichte um Leonor, unzufriedene Geliebte des machtbewussten und durchtriebenen Königs Alphonse XI., die sich in einem Kloster in einen Fast-Novizen verguckt. Fernand ist so verwirrt, dass er sich vor dem Gelübde vom Klosterleben verabschiedet, für den König und die Herzensdame eine Militärkarriere macht, zum Schluss mit ihr zusammen feststellt, dass das Leben mit und ohne Kirche, Liebe, Sex und Crime schwierig ist, doch wieder ins Kloster will und dann Leonor beim Sterben beisteht. Wird die Oper wegen einiger Glanzmelodien ins Programm gehoben? Garanča hat die stimmlichen Mezzo-Möglichkeiten von sonorer Tiefe bis zum hohen C, aber bei ihrem szenischen Rollendebüt fand sie stimmlich und darstellerisch erst in der Schlussszene zu ihrem Format.
Dem Fernand schreibt Donizetti gleich nach der ersten Viertelstunde eine Herausforderung zu (Arie "Un ange, une femme inconnue"). Matthew Polenzani führt seinen Tenor gut, die Stimme hat aber merkwürdig wenig Klang und Strahlkraft. Eindrucksvoll auf der ganzen Linie sind dagegen Mariusz Kwiechien als eitel selbstüberzeugt tänzelnder und ruhig gefährlicher König Alphonse XI. und Mika Kares als Abt Balthazar. Von Statur und Bass ist er eine Idealbesetzung. Joshua Owen Mills als Don Gaspard und Elsa Benoit als Ines überzeugen mühelos.
Regisseurin Amélie Niermeyer verlegt die Handlung aus dem Kloster Santiago di Compostela und dem spanischen Königspalast in einen grauen Raum, der an ein Rechenzentrum der achtziger Jahre erinnert. Tatschlich sieht es in der Europazentrale von Texas Instruments ähnlich aus. Die katholische Klostermacht findet sich mit überdimensioniertem Kruzifix und ebensolchen wächsern realistischen Reliquienfiguren dauerpräsent hinter verschiebbaren grauen Stahlzaunwänden. Immer wieder überlädt Niermeyer die Bühne mit Personengruppen in unmotiviertem Aktionismus wie Herumlaufen, Knien, Stühlerücken, der mehr ermüdet als das Stück zu vermitteln.
Souverän agiert das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Karel Mark Chichon. Er arbeitet Details heraus, sorgt für sensible Momente. Dass letztendlich nur die Schlussszene dramatisch wirklich großen Eindruck macht, ist schade.
(Von Martina Kausch)
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