Berlin (MH) – Ein junges Filmsternchen in einer unschuldig weißen Abendrobe träumt von Liebe und Ruhm und erliegt den Verlockungen des großen Geldes. Die Seifenblase platzt jäh, das Ende ist tragisch. In seiner Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper "Manon Lescaut" verlegt Jürgen Flimm, scheidender Intendant der Staatsoper Berlin, die Handlung in die Glitzerwelt des Filmgeschäfts.
Ein Haufen Komparsen wuselt an einem imaginären Filmset um ein rotes Cabriolet herum. Auch Renato Des Grieux hofft auf eine kleine Rolle. Da taucht die schöne Manon in Begleitung ihres Bruders auf, und Des Grieux ist hin und weg. Auf Leinwänden im Hintergrund laufen Filmszenen voller Liebesschmelz ab, während die Tragödie langsam ihren Lauf nimmt. Manon lässt sich von dem reichen Filmproduzenten Geronte ködern, der ihr ein Luxusleben verspricht. Doch der leidenschaftlich für sie entflammte Des Grieux zieht sie weiterhin unwiderstehlich an.
Flimms Idee, die Handlung von Puccinis 1893 in Turin uraufgeführter Erfolgsoper in die Sphäre der Traumfabrik Hollywood zu verlegen, erscheint hier durchaus stimmig. Mit "Manon Lescaut" erlebte der Komponist einst den internationalen Durchbruch. Seine Opern wurden weltweit ebensolche Publikumsrenner wie heutige Kino-"Blockbuster". Bei der Premiere am Sonntagabend im Schiller Theater wirkte die Musik über lange Strecken wie ein Soundtrack, der nicht nur die Bühnenhandlung, sondern auch eingeblendete Filmszenen untermalte. Doch die zahlreichen Videosequenzen, tanzende Statistinnen in silbrigen Kostümen und andere Regieeinfälle sorgten irgendwann für eine Reizüberflutung.
Die eigentliche Enttäuschung an dem Abend war die musikalische Umsetzung, was nicht unbedingt an den Solisten lag. Die russische Sopranistin Anna Nechaeva interpretierte die Rolle der Manon ausdrucksstark, wenn auch in der Höhe zuweilen etwas schrill. Ihr zur Seite stand ein hervorragender Des Grieux, dessen aufopfernder Liebe der italienische Tenor Riccardo Massi intensive Strahlkraft verlieh. Auch Roman Trekel als Manons Bruder und Franz Hawlata als reicher Filmproduzent Geronte konnten überzeugen.
Nicht so jedoch der Dirigent Mikhail Tatarnikov, Musikdirektor am Mikhailovsky Theater in St. Petersburg, wo die Produktion bereits im Oktober 2014 ihre Premiere feierte. Unter Tatarnikovs spannungsarmem Dirigat plätscherte alles zunächst nur so dahin. Puccinis Oper wurde damit auf das Niveau einer seichten Operette reduziert. Im letzten Akt, als die von Geronte an die Justiz ausgelieferte und danach in die Verbannung geschickte Manon elend und ausgezehrt dem Tod entgegensieht, steigerte sich die Musik hingegen zu gewaltigem Pathos. Puccini selbst hatte bekannt, in diesem Werk "verzweifelte Leidenschaft" zum Ausdruck bringen zu wollen. Diese Passion nicht zum Kitsch zu degradieren, ist eine Herausforderung. Nicht allen Dirigenten gelingt es, sich auf diesem schmalen Grat zu bewegen und Puccinis Musik gerecht zu werden.
(Von Corina Kolbe)
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(04.12.2016 – 21:19 Uhr)
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