Der in München geborene Dirigent Frank Strobel ist fest verwurzelt im klassisch-romantischen Repertoire und in der Musik des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus verfügt er über langjährige Erfahrung als Arrangeur, Herausgeber, Produzent und Studiomusiker. Mit enormem Fachwissen und einmaligem Gespür engagiert er sich für das reiche und noch wenig erschlossene Gebiet der Filmmusik.
Frank Strobel ist einer der weltweit renommiertesten Dirigenten von Filmmusik. Er hat sich nicht nur als Herausgeber und Dirigent um die Originalpartituren zu vielen berühmten Stummfilmen verdient gemacht, sondern ist auch als Arrangeur und Interpret eigener Filmmusiken hervorgetreten. Dem Nachrichtenmagazin musik heute gab er das folgende Interview.
musik heute: Sie dirigieren Orchester sowohl in Sinfoniekonzerten und Opern als auch bei Filmkonzerten. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit beim Konzert, wenn im Hintergrund ein Film mitläuft?
Frank Strobel: Das Dirigentische ist eigentlich sehr ähnlich. So wie das Orchester bei der Oper anfangs ohne die Sänger probt, macht es das hier zunächst ohne den Film. Der wird hinter den Musikern abgespielt und die Synchronität liegt in meiner Hand. Erst ab der Haupt- oder Generalprobe werden neben mir Monitore aufgestellt. Dadurch können die Musiker die Stilistik und den Hintergrund erfassen und sehen, wie sich die Musik mit dem Film verbindet.
Dann gibt es aber doch einen Unterschied: Der Film gehorcht einem nämlich nicht. Wenn ich zu langsam oder schneller bin, dann wartet er nicht oder beeilt sich. Das ist anfangs ungewohnt und man fühlt sich ein bisschen ausgeliefert. Aber manchmal nehme ich zum Beispiel eine Bewegung oder Regung im Gesicht des Darstellers auf. Und obwohl ich weiß, dass ich diese Verzögerung an anderer Stelle wieder einholen muss, kann ich doch in dem Moment die Wirkung von Film und Musik beeinflussen. Das macht den besonderen Reiz aus.
Abgesehen davon ist es ein enormes Erlebnis, einen Film auf der großen Leinwand zu erleben und dazu ein Orchester spielen zu hören. Diese Verbindung ist ungeheuer stark, gerade im Live-Eindruck. Im übrigen haben Filmkonzerte ein extrem heterogenes Publikum. Ich kenne eigentlich kein Genre, wo es sich ähnlich stark mischt. Neben alten Leuten, Klassik-Liebhabern und Cineasten sieht man auch viele junge Leute.
musik heute: Wie sind Sie selbst zur Filmmusik gekommen?
Frank Strobel: Meine Eltern sind beide im Filmbereich tätig, als Mitbegründer des Münchner Filmfestivals und Dozent an der Münchner Hochschule bzw. als Filmjournalistin. Zusammen haben sie in München ein Kino betrieben. Dadurch habe ich schon sehr früh gelernt, was das Kino eigentlich ausmacht: ein große Leinwand, guter Ton, Dunkelheit und konzentrierte Stimmung. Und ich habe gelernt, die Projektoren zu bedienen. Bei jeder Gelegenheit habe ich mir selber Filme vorgeführt.
Im übrigen war ich auf dem musischen Gymnasium und begann die Pianistenausbildung. Mit diesem Hintergrund habe ich die Wirkung von Musik im Kino untersucht. Fast zwangsläufig stieß ich auf den Stummfilm, wo die Musik eine ganz andere Rolle spielt. Denn er hat ja keine Geräusche oder Dialoge.
Mit 15 Jahren haben Freunde und ich ein Film-Festival organisiert. Dabei überlegten wir, "Metropolis" aufzuführen. Meine Eltern waren gut mit dem Direktor des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt befreundet. Von dem bekamen wir die damals aktuelle Fassung des Films. "Metropolis" ist ja zigmal rekonstruiert worden. Außerdem gab es einen originalen Klavierauszug der Musik von Gottfried Huppertz, den ich für zwei Klaviere bearbeitete. Rechts und links neben die Leinwand ließ ich jeweils ein Instrument aufstellen. Dadurch wurde das Bild eingebettet und es ergab eine Art Stereo-Effekt.
So habe ich "Metropolis" mit einer Freundin bei unserem Festival aufgeführt, mit großem Erfolg. Im Anschluss bin ich mit dem Film auf Reisen gegangen. Die zweite Station war Paris, dann folgte eine Tournee von Japan nach Hong Kong und quer durch Europa. Bei diesen vielen Aufführungen in den verschiedensten Ländern wurde mir klar, was dieses Genre eigentlich bedeutet und was es kann. So kam ich ganz allgemein zur Filmmusik und speziell zu "Metropolis".
musik heute: Seit wann beschäftigen Sie sich mit der Rekonstruktion dieses Films?
Frank Strobel: Das begann erst viel später. Die Rekonstruktionsgeschichte von "Metropolis" ist ja relativ verworren. Ein ganz wichtiger Akteur ist Enno Patalas vom Filmmuseum München. Dann gab es die große Digitalrestaurierung 2001. Diese Fassung wurde im wesentlichen von Martin Koerber verantwortet, auf der Grundlage der Arbeit von Enno Patalas. Martin Koerber hat schon sehr früh erkannt, was die Musik uns sagen kann. Deshalb hat er auch einen Klavierauszug benutzt, um den Film quasi zu sortieren.
Weil noch eine halbe Stunde des Films fehlte, wurde eine neue Musik in Auftrag zu geben. Die hat der Berliner Komponist Bernd Schultheis für Live-Elektronik und Sinfonieorchester geschrieben. Diese Musik habe ich seinerzeit mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eingespielt und bei der Premiere auf der Berlinale aufgeführt. Das war meine erste aktive Beteiligung an der Rekonstruktion von "Metropolis".
musik heute: Warum wurde diese Komposition 2008 wieder beiseitegelegt?
Frank Strobel: Der Fund in Argentinien war ein unglaublicher Einschnitt in der Restaurierungsgeschichte von "Metropolis". Er bot die Möglichkeit, den Film nahezu vollständig wieder herzustellen. Deshalb wurde entschieden, auch die Originalmusik wieder einzurichten. Wir gingen nochmal in die Quellen, angefangen vom gedruckten Klavierauszug über das Manuskript der Originalpartitur bis zum Particell des Komponisten sowie viele Skizzen und Notizen. Außerdem hatten wir das Originaldrehbuch aus der Hand von Huppertz mit seinen Einzeichnungen.
In die Restaurierung des Films war ich zu der Zeit noch nicht direkt eingebunden. Meine Aufgabe war es, eine Urtextausgabe und eine Kritisch-Revidierte Aufführungsausgabe zu betreuen und zu erstellen. Und natürlich die Einspielung zu machen sowie das Dirigat der Live-Premiere.
musik heute: Aber irgendwann wurden Sie doch in die Rekonstruktion des Films mit einbezogen.
Frank Strobel: In diesem Fund steckte noch eine zweite Sensationen, die erst nach und nach klar wurde. Mir fiel nämlich etwas auf. Seit ich mich mit "Metropolis" beschäftige, musste man die Huppertz-Musik immer etwas hin- und herzerren, damit sie zum Film passt. Und das obwohl wir wussten, dass der Komponist parallel zu den Dreharbeiten geschrieben hat. Huppertz hat ja sogar am Set gespielt, so dass die Schauspieler sich dazu bewegen konnten. Als ich aber die Musik versuchsweise an diese argentinische Fassung anlegte, da passte sie plötzlich.
Martin Koerber und Anke Wilkening baten mich, ein paar Beispiele mit dem Sampler so einzuspielen, wie ich sie dirigieren würde. Diese Musik kommt ja eher aus dem spätromantischen Duktus. Daher kann man sie nicht einfach mathematisch durchrechnen, sondern muss die Agogik mit einfließen lassen. Wir haben dann einzelne Stellen mit dem Sampler realisiert und an Szenen angelegt, wo die argentinische Fassung nachweislich vollständig war.
Damit konnten wir nachweisen, dass diese Kopie Deutschland zu einem Zeitpunkt verlassen hat, bevor der Film zurückgezogen und umgearbeitet wurde. Die argentinische Fassung war also ein "Director’s Cut". Deshalb wurde entschieden, die ganze bisherige Restaurierungsarbeit noch einmal zu überprüfen. Die gesamten zweieinhalb Stunden des Films sollten noch einmal angesehen und mit der Musik abgeglichen werden. Und an der Stelle kam ich in das Restaurierungsteam von Anke Wilkening und Martin Koerber.
musik heute: Wie haben Sie diese Arbeit erlebt?
Frank Strobel: Wir haben uns über ein halbes Jahr mit dieser Filmfassungsfrage beschäftigt. Dabei haben wir die Musik als Grundlage genommen und auf den gesamten Film angewendet. Jede Sequenz haben wir uns genauestens angesehen, jede Einstellung. Über eine Szene von anderthalb Minuten haben wir manchmal stundenlang diskutiert. Teilweise haben wir sogar die Längen von Zwischentiteln geändert.
Wenn wir die Ergebnisse anschließend mit "Argentinien" verglichen, waren wir immer ganz nah dran. Das hat uns nochmal die Bestätigung gegeben, dass die argentinische Kopie die Premierenfassung repräsentiert. Die Arbeit war also ein sehr kreativer Prozess. Deshalb sprechen wir in den Credits nicht mehr von der Film-Restaurierung, sondern von der "Film-Edition 2010", die wir drei verantworten.
musik heute: Vielen Dank für das Gespräch.
Frank Strobel: Gern geschehen.
(Die Fragen stellte Wieland Aschinger.)
(Anmerkung: Am 5. Juni 2011 hat "Metropolis" Premiere in der Mailänder Scala mit Frank Strobel am Pult der Filarmonica della Scala.)