Wien (dpa) – Anna Netrebko ist Familienmensch, Energiebündel und hochprofessioneller Opernstar. Wenige Tage vor ihrem 50. Geburtstag am (heutigen) Samstag starb ihr Vater, wie die russische Sopranistin ihren Hunderttausenden Followern auf Instagram erzählte. Dennoch werde ihr Galakonzert im Moskauer Kremlpalast am 18. September stattfinden, schrieb sie und verwies auf die Fröhlichkeit ihres Vaters: "Er hätte nicht gewollt, dass seine Liebsten nach seinem Ableben diese unglaubliche Energie verlieren, die ihm innewohnte."
Bereits im Jahr 2002, als sie ihren internationalen Durchbruch feierte, starb Netrebkos Mutter an Krebs – an dem Tag, als die Sängerin an der New Yorker Metropolitan Opera debütierte.
Seitdem ist sie zu einer gefeierten Diva aufgestiegen, die ihre Fans mit vielen Postings an ihrem glamourösen Leben teilhaben lässt, aber immer wieder auch ihre Bodenständigkeit durchblitzen lässt. "Was soll die Scheiße, Sommer??? Das war’s???", schrieb sie an einem frühherbstlichen Tag Ende August. "Ich habe doch noch so viele Blümchenkleider zum Anziehen."
Das lebhafte Temperament zeigte sich schon in Annas Kindheit im südrussischen Krasnodar nahe der Schwarzmeerküste. "Diese wilde Energie sprudelte, und ich konnte nie ruhig sprechen. Ich schrie immer", erzählte sie in der TV-Dokumentation "Anna Netrebko – Anna The Great" aus dem Jahr 2014. Die Tochter eines Geologen und einer Ingenieurin liebte es, schauzuspielen, sich zu verkleiden und im Mittelpunkt zu stehen. Sie nahm Ballettunterricht und begann als 16-Jährige eine Ausbildung als Sopranistin.
Während sie am Konservatorium in St. Petersburg studierte, arbeitete sie als Reinigungskraft am Mariinski-Theater. Im Jahr 1994 wurde sie dort engagiert. Beim Vorsingen überzeugte sie den Intendanten und Dirigenten Waleri Gergijew, der sie wenige Monate zuvor noch putzen gesehen hatte. "Es war nicht nur amüsant und kurios, sondern sogar notwendig, ihr eine Rolle anzubieten", sagte er in der TV-Doku.
Den internationalen Durchbruch schaffte sie 2002, als sie bei den Salzburger Festspielen als Donna Anna in "Don Giovanni" unter dem gestrengen Maestro Harnoncourt debütierte. "Wir waren alle sehr gespannt, ob Nikolaus Harnoncourt diese selbstbewusste, viel lachende junge Frau mögen würde", erzählte Festspielchefin Helga Rabl-Stadler der Deutschen Presse-Agentur. Doch die beiden harmonierten, und Netrebko wurde als Sensation gefeiert. Der Kritiker der "Salzburger Nachrichten" schrieb damals von einem "Sopran, der dramatische Kraft und lyrische Geschmeidigkeit in beängstigend vollendete Balance bringt."
Für Rabl-Stadler liegt Netrebkos Stärke in ihrer großen Musikalität und ihrer besonderen Stimme sowie in ihrer angeborenen schauspielerischen Begabung und ihrem tänzerischen Bewegungstalent. "Sie ist auf der Bühne somit ein Gesamtkunstwerk", sagte sie.
Netrebko lebt in Wien und besitzt seit 2006 auch den österreichischen Pass. Sie verbringt jedoch auch viel Zeit in Moskau, St. Petersburg und New York. Sie ist an der Wiener Staatsoper, der Metropolitan Opera, der Mailänder Scala, dem Moskauer Bolschoi-Theater und anderen führenden Häusern präsent. Mit ihrer Stimme, die neben den hellen Farbtönen auch dunkle Wärme ausstrahlt, hat sie sich ein Repertoire aufgebaut, das sich von Mozart und lyrischen italienischen und französischen Rollen in den letzten Jahren hin zu dramatischeren Partien ausgeweitet hat. Ihr Debüt in einer großen Wagner-Rolle gab sie 2016 als Elsa in "Lohengrin" in der Dresdner Semperoper.
Auf der Bühne steht sie oft mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov. Mit dem Tenor aus Aserbaidschan ist sie seit 2015 verheiratet. Auf Instagram zeigen die beiden ihre Zuneigung zu Netrebkos 13-jährigem Sohn Tiago, der aus ihrer früheren Beziehung mit dem Bassbariton Erwin Schrott stammt. Modisch teilen Eyvazov und Netrebko ein extravagantes Faible für extravagante Stoffe mit atemberaubend großen Mustern.
Bei der Geburtstagsgala stehen Netrebko und Eyvazov mit Star-Kollegen wie Cecilia Bartoli, Plácido Domingo oder Rolando Villazón auf dem Programm. Dass die Veranstaltung im Kremlpalast, einem der wichtigsten Konzertsäle Moskaus, stattfindet, will ihr Management jedoch nicht politisch verstanden wissen.
Während Netrebko künstlerisch unangefochten ist, hat sie sich in politischen und gesellschaftlichen Fragen Kritik eingehandelt. Sie unterstützte 2012 Wladimir Putin vor der russischen Präsidentenwahl und übergab 2014 eine Spende für Künstler in der von pro-russischen Separatisten kontrollierten Ostukraine. Und 2018 meinte sie gegenüber dem britischen Sender Klassik FM, dass in der Klassik-Szene sexueller Missbrauch nur passiere, wenn er zugelassen werde. Auf Twitter ruderte sie jedoch schnell zurück: "Kein Opfer eines sexuellen Übergriffes ist je schuld", betonte sie.
(Von Albert Otti, dpa)
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(dpa/MH)
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