Berlin (dpa) – Für ihre Auftritte wird sie angehimmelt, für ihre Absagen wurde sie lange gefürchtet: Immer wieder hat sich Martha Argerich Publikum und Veranstaltern in letzter Minute verweigert – und wurde trotzdem zur Starpianistin. Der Anziehungskraft Argerichs, die am (heutigen) Samstag 80 Jahre alt wird, können sich Zuhörer kaum entziehen. Wenn die Argentinierin etwa für Sergei Prokofjews Klavierkonzert Nr. 3 über die Klaviatur rauscht oder das zweite der fünf Pianokonzerte Beethovens mit ihrem glasklaren Anschlag zu Gehör gibt, brechen in den Sälen rituell Ovationen aus.
Zu ihren Geburtstagen hatte sie in den vergangenen Jahren immer wieder mit einem Freund aus der Kindheit gespielt. Daniel Barenboim lud sie nach Berlin ein, zu zweit am Flügel oder mit der Staatskapelle Berlin zu musizieren. Beide blicken auf eine lange musikalische Freundschaft zurück. Sie begegneten sich als Kinder erstmals im Haus eines Hobby-Geigers und Geschäftsmanns in Buenos Aires, wo jeden Freitagabend Kammermusik gespielt wurde. "Ich war damals sieben, sie acht Jahre alt und wir haben, wie es Kinder tun, unter dem Klavier gespielt", erinnerte sich Barenboim einmal.
Auch dieses Jahr werden sie gemeinsam auftreten – zum Argerich-Festival der Hamburger Symphoniker ab 19. Juni in der Elbphilharmonie. Zu den elf Konzerten werden unter anderem auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter und die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli erwartet.
Das ambivalente Verhältnis zum öffentlichen Auftritt begleitete Argerich schon seit Kindesjahren. Da sollte sie einmal in ihrer Heimatstadt Buenos Aires für Friedrich Gulda spielen. Stundenlang hatte Mutter Juanita auf den Meister gewartet, bis sich Gulda bereit erklärte, der Zwölfjährigen zuzuhören. Martha rebellierte, lehnte es ab, vorzuspielen. Erst später traf sie Gulda in Wien.
Schon mit drei Jahren hatte sie am Flügel gesessen, mit sieben konnte sie an einem Nachmittag Mozarts Klavierkonzert Nr. 20, Beethovens Nr. 1 und eine Bach-Suite spielen. 1957, da war sie 16, gewann sie den Busoni-Wettbewerb und den internationalen Wettbewerb in Genf. Wo immer sie spielte – das Publikum war vom dunkelhaarigen "Wunder Argerich" hingerissen.
Mit Eltern und Geschwistern zog Martha nach Europa – zu Friedrich Gulda nach Wien. "Für ihn hätte ich alles getan!", bekannte sie in einer detailreichen Biografie des Franzosen Olivier Bellamy ("Martha Argerich – Die Löwin am Klavier").
Martha und das Piano – das war immer auch ein Pendeln zwischen Verzweiflung und Liebe. Gulda flehte sie an, sich auf ihre Fähigkeiten zu verlassen und ihr Potenzial nicht zu verschleudern. Doch immer wieder verkroch sich Argerich. Einen Termin mit dem mächtigen EMI-Plattenboss Walter Legge ließ sie platzen, einen Vertrag mit der Deutschen Grammophon lehnte sie erst ab.
Dann reiste sie nach New York, um Vladimir Horowitz vorzuspielen. Ihr Idol wollte sie nicht empfangen, später würde er sie als die Beste loben. Argerich blieb in Amerika, lernte dort den Komponisten Robert Chen kennen, mit dem sie die erste ihrer drei Töchter bekam. Ein Jahr später kehrte sie nach Europa zurück und gewann mit 24 Jahren 1965 den Warschauer Chopin-Wettbewerb. Dann löste sie als Jurorin einen Skandal aus. Weil der von ihr bewunderte Ivo Pogorelich aus dem Wettbewerb ausschied, reiste sie aus Protest ab.
Und dann immer wieder auch die Absagen, die Unstetigkeit in Marthas Leben – "ein Zickzackkurs zwischen sogenannter "Krise" und phantastischem Gelingen", wie der Kritiker Joachim Kaiser schrieb.
Ihre Aufnahmen, vor allem aber ihre Auftritte, etwa mit Liszts Es-Dur-Konzert, sind legendär. Zum Geburtstag erscheint eine digital überarbeitete Fassung der Aufnahmen von 1965, die Argerich kurz nach ihrem Sieg beim Chopin-Wettbewerb spielte. Kaisers Satz, bei Argerich gehe es nicht nur um richtige Töne, sondern auch ums Leben, wird hier
hör- und erlebbar.
Schicksalsschläge blieben nicht aus. In wenigen Jahren starben die Eltern, der Bruder und die beste Freundin. 1992 wurde bei ihr Hautkrebs diagnostiziert. Martha kämpfte. Noch während der Rekonvaleszenz kehrte sie mit Gidon Kremer und ihrem langjährigen Cello-Begleiter Mischa Maisky auf die Bühne zurück. Nach ihrem triumphalen Auftritt in der Carnegie Hall im März 2000 schrieb die "New York Times", Martha Argerich habe an dem Abend "weder Grenzen noch Ebenbürtige gekannt".
Aus der Utopie eines selbstbestimmten Lebens, frei von den "faulen Tricks" von Agenten und Plattenfirmen, wie sie sagt, entstanden ihre Festivals im japanischen Beppu und in Lugano in der Schweiz. Im Spiel mit Freunden fühlt sich Argerich aufgehoben. "Ich bin alt, aber noch immer unreif", sagte sie vor ein paar Jahren im Gespräch. Und lächelte dabei.
(Von Esteban Engel, dpa)
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(dpa/MH)
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