New York (dpa/MH) – Unzählige Nächte saß Philip Glass in den 70er Jahren in einem der berühmten gelben New Yorker Taxis und fuhr seine Gäste durch die Metropole, bevor er zu Hause bis zum Morgengrauen Musik schrieb. Seine Karriere wurde zu einer typisch amerikanischen Aufsteigergeschichte, denn heute ist Glass einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart – und wird chauffiert. Am (heutigen) Montag wird er 85 Jahre alt.
Am Anfang seiner musikalischen Karriere kamen zu den Auftritten von Glass' Ensemble manchmal nur 20 Zuschauer. Und Geld verdiente der in Baltimore (Maryland) geborene Sohn eines Schallplattenhändlers mit seinen Konzerten überhaupt nicht. Und so arbeitete Glass nebenher nicht nur als Taxifahrer, sondern auch als Klempner.
Gleichzeitig komponierte er in seinem unvergleichlichen Stil und brachte die drängende, manchmal bedrohliche Stimmung der teils düsteren Metropole zum Ausdruck. In seiner musikalischen Sprache bedient er sich dabei treibenden Rhythmen, sich schrittweise entfaltenden, wiederholenden Mustern und kleinteiligen Klangteppichen. Zum 85. nun wird Glass in vielen Städten gleichzeitig geehrt. Geburtstagskonzerte für ihn finden in Brno in Tschechien, Linz in Österreich und natürlich in New York statt.
Philip Glass saugte musikalische Einflüsse auf wie ein Schwamm: Als junger Flötist in Orchestern, bei kirchlichen Bach-Messen oder mit Aufnahmen von Anton Webern, Arnold Schönberg und Alban Berg, die er im Plattenladen seines Vaters entdeckte. Schon während seines Studiums an der renommierten Juilliard School of Music in New York brachte er mehr als 70 Kompositionen zur Aufführung.
Die Zeit bei der Komponistin Nadia Boulanger ab 1963, die Glass im Interview mit dem "Guardian" einst als "unerbittlichen Guru in Paris" beschrieb, formte ihn weiter. Dank der Begegnung mit dem fast 20 Jahre älteren indischen Sitarmeister Ravi Shankar fügte sich die repetitive Struktur indischer Musik ab 1964 in Glass' Werk. Er habe "zur selben Zeit zwei der größten Vertreter verschiedener Traditionen" erlebt, erinnerte sich Glass später.
Seinen Durchbruch hatte Glass schließlich 1976 mit der Oper "Einstein on the Beach". Das viereinhalbstündige Werk unter Regie von Robert Wilson wurde nach der Premiere im französischen Avignon als revolutionär gefeiert, in dem die Darsteller statt eines zusammenhängenden Textes Tonleitern, Figuren und Basslinien auf Silben und Zahlen sangen.
Dass er neben fulminanten Opern wie der 1980 uraufgeführten "Satyagraha" zunehmend auch Filmmusik schrieb, machte die Einordnung seines Werks nicht leichter. Neben den Filmen "Koyaanisqatsi" (1982) und dessen Fortsetzung "Powaqqatsi" (1988) schrieb er den Soundtrack zu Hollywood-Filmen wie "The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit" und "Die Truman Show" und arbeitete mit Film-Größen wie Martin Scorsese ("Kundun", 1997) und Woody Allen zusammen. Auch Musiker und Bands wie David Bowie, Brian Eno, Kraftwerk und Talking Heads ließen sich von ihm inspirieren oder arbeiteten mit ihm zusammen.
Glass ist so vielseitig, dass er sich wieder und wieder gegen vereinfachende Einordnungen durch Kritiker wehren musste: Minimalist? Avantgardist? Opern- oder Theater-Komponist? Er schrieb über 25 Opern, mehr als 20 Ballettwerke, zig Filmmusiken, Theater-Stücke und Symphonien.
Dass einige Kritiker Glass' Musik als gefällig, schlicht und immer gleich beschrieben, dürfte den unter anderem mit einem Golden Globe Ausgezeichneten kaum mehr beeindrucken. Er komponiert fleißig so weiter, wie es sonst kein anderer tut.
(Von Benno Schwinghammer, dpa)
© MUSIK HEUTE. Alle Rechte vorbehalten – Informationen zum ➜ Copyright
(dpa/MH)
Mehr zu diesem Thema:
➜ Weitere Artikel zu Philip Glass
Link: