Esslingen (mh) – "…lue, jouée et dansée" – "gelesen, gespielt und getanzt" heißt es im Originaltitel von Igor Strawinskys Musiktheaterwerk "L’Histoire du Soldat" (Die Geschichte vom Soldaten), das 1918 zusammen mit dem Schweizer Charles-Ferdinand Ramuz entstand. Nun wurde nicht nur gelesen, gespielt und getanzt sondern auch animiert. Die kreativen Köpfe des PODIUM Festivals, Steven Walter und Adrian-Minh Schumacher, schufen ein multimediales Gesamtkunstwerk. Zusammen mit dem Regisseur Daniel Pfluger und dem Animationskollektiv "motionfruit" entstand eine wunderbare Symbiose aus Musik, Theater und Filmanimation: "Strawinsky:animated". Die Produktion feierte am Dienstag in Esslingen erfolgreich Premiere.
In der Geschichte vom Soldaten tauscht ein Soldat seine Geige mit dem Teufel gegen ein Buch, das die wirtschaftlichen Ereignisse voraussagt und somit Reichtum verspricht. Doch der Soldat muss erkennen, dass Geld nicht alles ist und versucht seine Geige zurück zu gewinnen, um mit seinem Geigenspiel eine Prinzessin zu heilen. Das Kammerspiel für einen Vorleser, zwei Schauspieler, eine Tänzerin und sieben Musiker war im kleinen, intimen Kinosaal des ehemaligen Lichtspieltheaters SCALA gut aufgehoben.
Gerade mal ein, zwei Meter trennten die erste Stuhlreihe von dem ebenerdigen Bühnenbereich. Die sieben Instrumentalisten des PODIUM Festivals [Diana Tischenko (Violine), Simon Hartmann (Kontrabass), Nur Ben Shalom (Klarinette), Christian Hengel (Fagott), Jonathan Müller (Trompete), Friedrich Mück (Posaune) und Philipp Lamprecht (Schlagzeug) unter der präzisen Leitung von Miguel Pérez Iñesta] saßen nicht – wie in der Vorlage vorgesehen – neben der Bühne, sondern waren mitten im theatralischen Geschehen. Sie waren Musiker, Requisiten und Darsteller zugleich. Erhöht hinter ihnen, über die ganze Breite des Bühnenraums, die Kinoleinwand.
Dabei begann der Abend zunächst ganz klassisch, fast wie eine Lesung. Doch kaum hatte der Vorleser den Titel des Stücks deklamiert, sprang er auf und malte mit dem Finger ein Quadrat auf die leere Leinwand, das zeitgleich auf dieser erschien und sofort ein Eigenleben entwickelte. Die perfekte Verschmelzung von Schauspiel und Animation war gleich von Anfang an eindrucksvoll geglückt.
Der Soldat in der Gestalt eines grünen Quadrats, der Teufel als rotes Dreieck, die Prinzessin als blauer Kreis. Dennoch wirkten die geometrischen Formen nahezu menschlich, wenn sie sich gegenseitig auf der Leinwand jagten oder miteinander kämpften. Vor allem aber, wenn sie mit dem Geschehen vor der Leinwand interagierten, auf Wort, Musik und auf Bewegungen reagierten.
Zur Lebendigkeit mit beigetragen hat auch die grandiose schauspielerische Leistung von Uwe Topmann, der mit den Animationen kommunizierte, als seien sie Schauspieler. Mit vollem Körpereinsatz übernahm Topmann gleich alle drei Sprechrollen des Stücks: Vorleser, Soldat und Teufel. Gekonnt wechselte er blitzartig mit gestischen, mimischen und sprachlichen Veränderungen zwischen den Figuren hin und her. Durch immer schneller werdende Wechsel begannen die Charaktere nach und nach zu verschmelzen. Die Geschichte vom Soldaten wurde zunehmend zur Reise in die psychischen Abgründe ihres Protagonisten.
Der Psycho-Trip wurde durch den gekonnten Einsatz der Animation überzeugend ergänzt. Das Geschehen wurde nicht einfach nur bebildert, kein Trickfilm zur Musik à la Disney’s "Phantasia" gezeigt. Die Grafiken setzten vielmehr auf vielfältige Weise ganz eigene Akzente und Gegenpole. Mal wurden Geschehnisse visuell gedoppelt, mal kontrastierte die Animation die Ereignisse. Mal führten die Tricksequenzen einen Dialog mit dem Schauspieler, mal orientierten sich die Bildwelten an der Musik. Mal stand die Animation ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit, mal pausierte sie komplett. Nur selten verließen die Macher die abstrakte Ebene mit den geometrischen Formen. Dann spielten sich jedoch geradezu malerische Szenen auf der Leinwand ab, entstanden blühende Ornamente und farbenprächtige Aquarell-Landschaften wie von Zauberhand.
Dass sich die Animationen so organisch in den ganzen Abend einfügten, war mit Sicherheit nicht zuletzt auch der technischen Umsetzung geschuldet. Anders als oftmals üblich fand das musikalische und theatralische Geschehen nicht sekundengenau durchgetaktet zu einem parallel ablaufenden Film statt. Die Video-Zuspielungen passierten live durch Visual Jockey Joscha Haupt, der, die Partitur mitlesend, die Abläufe auf der Leinwand steuerte. Ein großer Gewinn für die gesamte Inszenierung, die somit ihrem ganz eigenen Tempo folgen konnte.
"Strawinsky:animated" ist ein gelungener, multimedialer Musiktheaterabend, der mit einer DVD Produktion und einer geplanten Tournee im Jahr 2014 auch einem breiterem Publikum zugänglich gemacht werden soll. Schon jetzt ist die Produktion im Internet auf der Seite www.strawinsky-animated.de mit Texten, Interviews, Bildern und Videos ausführlich dokumentiert.
(Von Andreas Bindzus)
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