Nachhaltigkeit und die Sommerlichen Musiktage Hitzacker

18. Februar 2013 - 11:09 Uhr

Von Lisa Wenck, B.A. Leuphana Universität Lüneburg

Nachhaltigkeit gewinnt im nationalen sowie internationalen Diskurs an Bedeutung. Längst ist nachhaltiges Handeln im Alltag vieler Menschen angelangt. Unternehmen wie Privatpersonen wollen und sollen ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und Umwelt gerecht werden. Dies trifft auch für Kulturinstitutionen wie Musikfestivals zu.

Elbauen

Die Sommerlichen Musiktage Hitzacker verstehen sich als ein traditionelles Musikfestival, das gleichwohl innovativ tätig ist, gemäß ihrem Motto "Tradition trifft Gegenwart – Seit 1946 am Puls der Zeit". Die Kulturlandschaft des Spielortes ist für das Festival von existentieller Bedeutung und regt zum Nachdenken über ihre Erhaltung an. Auffordernd sind ebenso regionale Nachhaltigkeitsprogramme und Leitbilder.

Auch wenn ein Musikfestival selbst nicht "nachhaltig" sein kann – es kann auf Nachhaltigkeit bedacht sein. Verschiedene Motive sprechen für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie bei den Sommerlichen Musiktagen: vor allem gesellschaftliche Verantwortung, aber auch wirtschaftliche Faktoren wie Kostenersparnis und Wettbewerbsvorteile.

Nachzudenken ist gleichzeitig über mögliche Probleme bei der Verknüpfung von Nachhaltigkeit mit dem Festival: Schwer einzuschätzen sind die Reaktionen von Besuchenden und ihr Verständnis für einen Wandel, der höhere Preise oder weniger Komfort bedeuten könnte. Werden Neuerungen überhaupt bemerkt oder sogar positiv beurteilt? Führen sie vielleicht zum Umdenken? Oder werden sie lediglich als Imagekampagne abgetan?

Nachhaltigkeit

Die etablierte Definition von Nachhaltigkeit entstammt dem Brundtland-Bericht 1987: "Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können." Es existieren verschiedene Konzeptionen nachhaltiger Entwicklung. Das sogenannte Drei-Säulen-Modell hat sich weltweit durchgesetzt und behandelt gleichrangig die ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen, die in ihrer Gesamtheit die Basis für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bilden. Nachhaltigkeit konstituiert sich durch das komplexe Zusammenspiel der drei Faktoren:

Nachhaltigkeit

Die ÖKONOMISCHE DIMENSION setzt an den Wirtschaftsprozessen einer Gesellschaft an und fordert Effizienzsteigerung sowie langfristigen Kapitalerhalt und Sicherung der Lebens- und Produktionsgrundlagen. Konkret kann dies zum Umdenken hinsichtlich Produktionsprozessen und Konsumverhalten führen.

Die ÖKOLOGISCHE DIMENSION nachhaltiger Entwicklung verdeutlicht, dass ein Überleben langfristig nur möglich ist, wenn Ökosysteme funktionsfähig bleiben und somit als Lebens- und Wirtschaftsgrundlage dienen können. Konkret kann das eine Veränderung des Verhältnisses zu den natürlichen Lebensgrundlagen anzeigen. Dabei darf die Umwelt als Lebensraum und Ort ästhetischer Anschauung aber nicht vernachlässigt werden.

Die SOZIALE DIMENSION betrifft die Sicherung sozialer Stabilität und Entwicklungsfähigkeit einer Gesellschaft, die gerechte Verteilung von Wohlstand und die Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung aller.

Und welche Rolle spielt die KULTUR im Konzept einer nachhaltigen Entwicklung? Es besteht weder Konsens darüber, ob Kultur – komplex und heterogen wie sie ist – als Teil von Nachhaltigkeit aufzufassen ist, noch, wo sie eingegliedert werden sollte. Die Kerndokumente wie der Brundtland-Bericht sehen sie vielfach nur als Instrument zur Durchsetzung beispielsweise sozialer Nachhaltigkeitsziele an. Weiter fehlt eine Konkretisierung, was genau unter Kultur zu verstehen ist. Einerseits könnte sie eine vierte Ebene bilden oder als Teil einer der drei bisherigen betrachtet werden. Andererseits könnte Kultur eher als eine interdisziplinäre Querschnittsthematik dienen, die Einfluss auf alle Nachhaltigkeitsdimensionen hätte. Für einige scheint es unerlässlich, Kultur in eine nachhaltige Entwicklung zu integrieren, weil sie eine kreative und ästhetische Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen kann. Wird Kultur nicht im Sinne von künstlerischer Tätigkeit, sondern als Lebensweise des Menschen interpretiert, als dessen Werte und Vorstellungen, scheint ein Zusammendenken von Kultur und Nachhaltigkeit einfach: Schließlich attackiert Nachhaltigkeit laut Karl Hörning "grundlegend unsere Vorstellungen vom guten Leben und fordert von uns neue und andere Überlebenstechniken und Lebensmuster".

Bei den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker

Ökonomische Optionen

Die konsequente Verfolgung einer durchdachten Effizienzstrategie bietet sich als ökonomische Option an. Das hieße nach dem Minimalprinzip zu wirtschaften, um mit möglichst geringem Ressourceneinsatz das gegebene Ziel – die Ausrichtung eines qualitativ hochwertigen Festivals – zu erreichen. Dazu sollte die Notwendigkeit von Aufwendungen stets und systematisch hinterfragt werden. Die Vermeidung überflüssiger Tätigkeiten, Ausgaben und Ressourcen spart Kosten und erzielt oftmals auch ökologische Effekte. Von wirtschaftlicher Relevanz ist zudem eine durchdachte Kommunikation dieser Positionierung des Festivals. Gelingt es, einen nachhaltigen Zusatznutzen für Besuchende zu generieren und zu kommunizieren, kann dieser als Wettbewerbsvorteil herausgestellt werden. Erweiterte Förderbereitschaft, Umsatz- und Absatzsteigerung könnten Folgen sein.

Ökologische Optionen

Im Veranstaltungsaal könnte bei der ohnehin notwendigen Erneuerung der Einbau einer LED‐Lichtanlage, die deutlich weniger Strom verbrauchen würde, ein Kosteneinsparungspotenzial für die Zukunft bedeuten. Mit der Umstellung auf Ökostrom würde die Leitlinie einer 100-prozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien im Landkreis Lüchow-Dannenberg unterstützt. Das Festival würde sich gleichzeitig zu einem Thema im regionalen Brennpunkt positionieren. Vor allem sollte der sparsame Umgang mit Energie offensiv eingefordert und stets bedacht werden.

Hitzacker Festival-Walk

Mobilität stellt für die Sommerlichen einen wichtigen Faktor dar, den es so weit wie möglich nachhaltig umzugestalten gilt. So sollte den Besuchenden verstärkt die Anreise per Bahn nahegelegt und über eine Kooperation mit der Deutschen Bahn nachgedacht werden. Die Bildung von Fahrgemeinschaften zu dem und während des Festivals könnte bei Festivalgästen Anklang finden. Im Bereich der Künstlerbetreuung wäre der Einsatz von hybrid‐ oder gasbetriebenen Fahrzeugen empfehlenswert.

Nachzudenken ist über die Kompensation verursachter Emissionen: Anhand der freigesetzten CO²-Menge wird ein Geldbetrag errechnet, der an anderer Stelle für emissionsreduzierende Projekte verwendet wird. Dafür erhält man ein Zertifikat. Es gibt mehrere Internet-Portale, auf denen Emissionen leicht zu berechnen und zu kompensieren sind. Besucher könnten dazu animiert werden, ihre verursachten Emissionen selbst zu kompensieren. Emissionskompensation sollte nicht als Freikauf von "Umweltsünden" verstanden werden, sondern vielmehr als Möglichkeit, die nicht vermeidbaren Umweltbeeinträchtigungen auszugleichen.

Die Verpflegung von Mitarbeitenden, Künstlern sowie Gästen sollte möglichst saisonal sein sowie aus regionaler und ökologischer Landwirtschaft stammen. Biologische Nahrung schont Klima und Böden und ist gesünder für Mensch und Tier. Nahrungsmittel aus der Region verringern durch kürzere Transportwege den Emissionsausstoß. Bei saisonalen Lebensmitteln wird auf lange Kühlung über Monate hinweg verzichtet, zudem sind sie oftmals günstiger im Einkauf.

Die wirksamste Maßnahme im Abfallmanagement stellt die Müllvermeidung dar. In allen Bereichen des Festivals sollte aber auf alle Fälle ein Abfalltrennsystem eingeführt werden. Im Zuge der Papiernutzung fallen hohe Abfallmengen an, vor allem in der Verwaltung und im Marketing. Hier sollte konsequent auf zumindest FSC-zertifiziertes Papier umgestiegen werden, was eine nachhaltige Waldbewirtschaftung garantiert. Umweltfreundlicher und ressourcenschonender wäre die Nutzung von Recyclingpapier. Dank stetiger Qualitätsentwicklung kann es auch in der Öffentlichkeitskommunikation verwendet werden. Es böte sich an, Programmheft und -buch sowie weitere Druckerzeugnisse in einer umweltfreundlichen Druckerei drucken zu lassen. Informationsmaterial könnte mit heutiger Technik auch als Download fürs Mobiltelefon zur Verfügung gestellt werden. Grundsätzlich gilt es, zunächst Sinn und Zweck sowie Notwendigkeit des Papierverbrauchs zu hinterfragen und Alternativen abzuwägen, wie etwa die vermehrte Kommunikation via Internet und E-Mail, vor allem innerhalb von Vorstand und Verein.

Soziale Optionen

Sowohl innerhalb der Festival-Organisation als auch in der Interaktion nach außen ist die soziale Dimension der Nachhaltigkeit relevant. Intern sollte auf eine möglichst behindertengerechte Gestaltung des Festivals geachtet werden, um die Teilhabe aller Interessenten zu ermöglichen. Extern könnten die Sommerlichen durch den Bezug von biologisch angebauten Lebensmitteln aus Entwicklungsländern und die Investition in Fair Trade zertifizierte Produkte einen bewussten Beitrag zu einem lebensverbessernden Wirtschaftswachstum in armen Ländern leisten. Fair gehandelte Güter und Waren sind kostenintensiver, erhöhen jedoch den Ertrag der Produzierenden deutlich, weil der Preis angemessen ist. Konkreter könnte das soziale Engagement des Festivals werden, wenn eine Partnerschaft mit einem Projekt mit nachhaltigem Ansatz eingegangen würde.

Kommunikation

Eine glaubwürdige externe Nachhaltigkeitskommunikation erfordert zunächst eine interne Auseinandersetzung mit den Inhalten. Intern sollte das Bewusstsein für Fragen der Nachhaltigkeit sensibilisiert, auf umweltbewussteres Verhalten der Mitarbeitenden eingewirkt und die Vermittlung von Wissen ermöglicht werden, welches als erster Schritt zu Aktion und Veränderung anzusehen ist. Zudem sind Mitarbeitende wertvolle Botschafter nach außen. Gelingen kann dies aber nur, wenn innerhalb der Kultur des Festivals ein Umdenken gelebt wird.

Glaubwürdigkeit und Transparenz sollten unabwendbare Maxime der externen Nachhaltigkeitskommunikation darstellen: Die Chance für die Musiktage als ältestes Kammermusikfestival besteht in der Verknüpfung der Tradition mit der Innovation, den Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung gerecht werden zu wollen. So könnte ein Alleinstellungsmerkmal der Sommerlichen in der heutigen Festivallandschaft, in der die Nachhaltigkeit erst noch Einzug halten muss, herauskristallisiert werden. Damit könnte den Besuchenden ein Zusatznutzen vermittelt sowie eine emotionale Bindung hergestellt werden. Ebenso böte die externe Berichterstattung die Möglichkeit, die bewusste Entscheidung für eine nachhaltige Umgestaltung des Festivals zu begründen und glaubhaft darzustellen. Erst so können Erfolge bemerkt, honoriert und die Besuchenden zu mehr Nachhaltigkeitsbewusstsein bewegt werden.

Hinweis der Redaktion: Der Text ist eine Zusammenfassung der Bachelorarbeit von Lisa Wenck, B.A. Leuphana Universität Lüneburg 2011, den die Autorin dem Nachrichtenmagazin musik heute freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

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Musiktage Hitzacker kooperieren mit Biosphärenreservat Elbtalaue

Link:

http://www.musiktage-hitzacker.de/

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