Berlin – Mit einem Schiff auf der Spree hat Jürgen Flimm vor ein paar Jahren das Ensemble der Berliner Staatsoper Unter den Linden in ihr Übergangsquartier im Schiller Theater umziehen lassen. "Auf nach Charlottenburg!" – das war großes Kino so ganz nach Flimms Geschmack. Das Spielerische, der unbefangene Umgang mit den ernsten Dingen, die Neuanfänge: Immer wieder hat Flimm versucht, sich neu zu erfinden.
Demnächst steht mal wieder so ein Neustart an: Wenn die Staatsoper nach der Renovierung wieder in ihr Stammhaus zieht und Flimm einige Monate später seinen Job als Intendant abgibt. Der Theater- und Opernmann, der am (heutigen) Sonntag 75 Jahre alt wird, ist mit sich selbst und seinen Inszenierungen "immer auf Entdeckungsreise", wie er im Gespräch sagt.
Allerdings hat sich Flimm auch stets gegen bestimmte Zuschreibungen gewehrt. "Nur weil ich einmal laut Lieder gesungen habe, mich immer wieder 'rheinische Frohnatur' zu nennen", das sei "totaler Quatsch." Aber auch den "romantischen deutschen Künstler", der rituell in Melancholie versinke, will der Regisseur, der in Gießen geboren wurde und in Köln aufwuchs, nicht geben. Bei so einem tollen Job, zudem vom Staat bezahlt, sei das unglaubwürdig.
Als Intendant der Staatsoper hat sich Flimm neben dem dirigierenden Alpha-Mann Daniel Barenboim die Leichtigkeit bewahrt. Mit seiner Liebe zum Detail und einer oft sprießenden Fantasie ist er zu einem Impulsgeber für das deutschsprachige Theater geworden – in Inszenierungen oder als Leiter großer Festivals wie der Ruhrtriennale und der Salzburger Festspiele.
Am 17. Juli 1941 als Kind einer protestantischen Ärztefamilie geboren, studierte Flimm in Köln Theaterwissenschaft, Germanistik und Soziologie. Seine Regiekarriere startete er 1968 als Assistent bei Fritz Kortner und Claus Peymann an den Münchner Kammerspielen. Als Theaterleiter verdiente er sich in Köln von 1979 bis 1985 Meriten. Das Hamburger Thalia Theater machte er als Intendant von 1985 bis 2000 zur bestbesuchten Bühne Deutschlands.
"Meine Toleranz für törichtes Gehabe ist aufgefrühstückt"
Nach seinem Antritt als Intendant in Berlin ließ er die Regiearbeit zunächst ruhen. Nicht lange. "Ich brauche die Bühne, das habe ich gemerkt, als ich hier wieder angefangen habe zu inszenieren", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Er habe schon mit 70 aufhören wollen, "Gott sei Dank ist mir das nicht gelungen". Und so hat er in der nun zu Ende gehenden Spielzeit gleich drei Produktionen gestemmt, "Figaros Hochzeit", "Orfeo und Euridice" und vor wenigen Wochen in Bologna (und jetzt in Berlin) "Luci mie traditrici" des italienischen Zeitgenossen Salvatore Sciarrino.
"Es gefällt mir, von null zu beginnen mit dem Klavierauszug in der Hand. Da sind auf dem Papier so schwarze Punkte und Linien und aus diesen Material musst du eine Oper inszenieren – dieser Weg kann sehr toll sein und befriedigend."
Die Partituren bleiben Flimm auch erhalten wenn er im kommenden Jahr den Intendantenposten ganz seinem Nachfolger Matthias Schulz übergibt. Er wird in St. Petersburg Verdis "Falstaff" inszenieren, ein Theaterstück und danach wieder eine Produktion an der Staatsoper. "Als Regisseur bin ich nicht altersweise geworden, wie manch anderer, sondern altersjung, altersfrech und war sehr froh, dass sich die Spinnweben nicht um das Kreativzentrum gelegt haben."
Mit seinem Bayreuther "Ring des Nibelungen" erntete er gespaltene Reaktionen, ebenso bei seiner Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt zu Henry Purcells "King Arthur" in Salzburg. Ungeteilt gefeiert wurde er in New York mit Beethovens "Fidelio", der von der "New York Times" zur besten Opernproduktion des Jahres gekürt wurde.
Allerdings bleiben auch Flimm die Enttäuschungen nicht erspart. "Früher war ich ein zorniger Mensch, heute geht’s mir so, dass ich daneben stehe und es einfach nicht fasse. Ich fasse etwa den Brexit oder Pegida nicht, ich fasse nicht, wie jemand so unvernünftig sein kann wie die AfD. Da habe ich so eine Abwehr: Lass' mich damit in Ruhe, meine Toleranz für solches törichtes Gehabe ist aufgefrühstückt."
So will er, anders als vor Jahren, seinen Geburtstag nicht groß feiern und eher einsam in Norddeutschland verbringen. "Ich fahre aufs Land in mein Haus, setze mich auf den Boden, dann kommt mein Kater angerannt, und dann feiere ich mit meiner Frau Geburtstag. Und dann gehen wir spazieren und es ist ein Tag wie jeder andere bei uns in Kehdingen."
(Von Esteban Engel, dpa/MH)
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