Sterben für Gott und die Liebe: Händels Oratorium "Theodora"

02. Januar 2017 - 15:55 Uhr

Berlin (MH) – Unerschüttert sehen Theodora und Didymus dem Tod entgegen. Sie sind durch den gemeinsamen Glauben und tiefe Gefühle füreinander vereint. In seinem späten Oratorium "Theodora" verquickt Georg Friedrich Händel eine bewegende Liebesgeschichte mit dem Schicksal christlicher Märtyrer im spätantiken Römischen Reich. Dieses lange verkannte Werk des großen Barockkomponisten hat Justin Doyle, dem künftigen Chefdirigenten des RIAS Kammerchores, am Sonntagabend zu einem aufsehenerregenden Berlin-Debüt verholfen.

Justin Doyle

Justin Doyle

Mit genauen Gesten und spürbarer Intuition bringt der Brite den Chor, hochklassige Gesangssolisten und die Akademie für Alte Musik Berlin miteinander in Einklang. Während der etwa zweieinhalbstündigen Aufführung der gekürzten Fassung von "Theodora" bleibt die Spannung bis zum letzten Moment erhalten. Händel verpackte die tragische Handlung in eine melodiereiche Komposition von kammermusikalischer Transparenz. Das luftige, fein akzentuierte Spiel des Barockensembles verbindet sich hier bestens mit dem Gesang des intonationssicheren Chors, der sich durch klare Artikulation und exzellente Textverständlichkeit auszeichnet. Kaum zu glauben, dass dieses Meisterwerk, das Händel auf das Libretto des englischen Geistlichen Thomas Morell komponierte, bei der Uraufführung 1750 in London vollends beim Publikum durchfiel.

Rein und engelsgleich präsentiert sich die walisische Sopranistin Fflur Wyn, die die Rolle der Theodora hochemotional interpretiert. Auf Anordnung des Statthalters des römischen Kaisers Diokletian sollen die Christen in Antiochien dem heidnischen Gott Jupiter Opfer darbringen. Andernfalls droht ihnen die Hinrichtung. Mit "Folter, Galgen, Schwert und Feuersglut" will ihnen der Statthalter Valens (verkörpert von dem stimmgewaltigen Bass Roderick Williams) zu Leibe rücken. Ein Racheakt gegen Andersgläubige, der an die Verfolgung religiöser Minderheiten in unserer Zeit erinnert. Als Theodora sich dem Befehl widersetzt, steht ihr eine Strafe bevor, die sie mehr fürchtet als den Tod. In einem Bordell soll sie zur Prostitution gezwungen werden.

Doch der römische Offizier Didymus, von Theodora zum Christentum bekehrt, lässt die Geliebte nicht im Stich. Mit seinem leuchtenden Timbre verleiht der Countertenor Tim Mead den Arien des Didymus höchste Intensität. Beide sind bereit, ihr Leben für die Rettung des anderen zu opfern. In den weiteren Rollen sind die Mezzosopranistin Anna Stéphany (Irene), der Tenor Robert Murray (Septimius) und Christian Mücke (Bote) zu erleben.

Einer der großen dramatischen Höhepunkte des Stücks ist das anrührende Schlussduett von Didymus und Theodora, kurz bevor Valens sie ermorden lässt. "Wie merkwürdig ist ihr Ende, und doch glorreich", singt der Chor. "Wo jeder siegt, der für den anderen stirbt (…)". Der Abend endet mit begeistertem Applaus und lauten Bravo-Rufen. Doyle lässt als Zugabe den Schlusschor des zweiten Teils, "He saw the lovely youth", wiederholen. Gewissermaßen als Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Gewalt, denn der Chor der Christen erinnert an die im Lukas-Evangelium beschriebene Auferweckung des Jünglings von Nain durch Christus. Händel selbst hielt diesen Chor für ein Meisterwerk, das er noch über das berühmte "Halleluja" aus seinem "Messias" stellte.

(Von Corina Kolbe)

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