Würzburg (MH) – Enrico Calesso ist seit 2010 Generalmusikdirektor am Mainfranken Theater Würzburg. Mittlerweile hat der 1974 geborene Italiener dem Orchester des Hauses ein neues Profil verliehen. Im Sommer wurde sein Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert. Mit dem Nachrichtenmagazin MUSIK HEUTE sprach Calesso über seine Pläne für Würzburg.
Frage: Wie wichtig ist für Sie das deutsche Stadttheater?
Antwort: Das Stadttheater ist sehr wichtig, nicht nur für die jeweilige Region und Stadt, sondern auch für die überregionale Strahlkraft, die eine Stadt durch ihre einmaligen Kulturprozesse als Beitrag für die gemeinsame Reflektion und Wiederspiegelung einer Gesellschaft geben kann. Aber auch als gemeinsamer Ort, wo die Menschen sich durch die Kunst besser kennenlernen und die geistige Verbindung zu sich selbst vertiefen können.
Doch nicht nur dafür ist das Stadttheater notwendig, denn auch in der Kinder- und Jugenderziehung wird hier Wichtiges aufgebaut, zudem als "Schmiede" für junge Künstler, die am Anfang ihres künstlerischen Weges die richtigen Voraussetzungen für die Entwicklung ihrer Karriere finden können. So haben zum Beispiel Waltraud Meier und Diana Damrau am Würzburger Stadttheater die Grundsteine ihres Schaffens gelegt.
Ich freue mich, dass in Würzburg die Institution des Dreisparten-Stadttheaters noch erfolgreich ist, und ich erhoffe mir von der anstehenden Sanierung zudem einen großen Impuls für dieses Haus sowie weiteres Wachstum.
Frage: Sie sind also auch für die Beibehaltung des Ensembles?
Antwort: Stadttheater ohne Ensemble ist undenkbar. Zu dem kulturellen Identifikationsprozess einer Stadt gehört eben auch die Identifikation mit einem Kern von Künstlern, die durch ihre Kunst immer wiederkehrende Beziehungen zu dem Publikum herstellen können. Natürlich bereichern auch hervorragende Gäste eine Spielzeit, aber ich bin sehr stolz, dass wir immer wieder die großen Rollen der Produktionen mit dem Ensemble adäquat besetzen können, und zwar bei allen stilistischen Unterschieden, von "Butterfly" bis "Zigeunerbaron", von "Carmen" bis Galuppis "Alessandro", von Uraufführungen bis hin zum Musical.
Frage: Sie werden oft gelobt für Ihre intensiven Proben und hervorragende Arbeit mit dem Orchester.
Antwort: So etwas verlangt natürliche eine kontinuierliche Arbeit. Sehr oft debütieren Ensemblemitglieder mit anspruchsvollen Partien. Für den musikalischen Leiter gilt es, diesen Prozess von Anfang an intensiv zu begleiten und alles für den Sänger zu tun, damit ein gemeinsamer Weg für eine gelungene Interpretation entstehen kann. Dennoch muss auch der musikalische Leiter eine klare Vorstellung haben, wohin dieser Weg gehen soll.
Eine Aufführung ist nur zum Teil durch das Studium der Partitur zu entwickeln, denn es ist auch eine Frage der Entstehung, des Milieus eines Werkes, der konkreten Situation, in der ein Komponist gearbeitet hat sowie die künstlerischen und ästhetischen Absichten, die den Komponisten beschäftigt haben. Und oft geht die Vertiefung eines Kunstwerks so weit, dass man auch herausfinden sollte, was den Komponisten unbewusst motiviert haben könnte. Bei "Tristan und Isolde" zum Beispiel war ich extrem überrascht, als ich die Briefe und Schriften von Richard Wagner aus dieser Epoche las.
Bei Verdi, und "Otello" insbesondere, sieht man einmal mehr die unglaubliche schauspielerische Qualität der Musik. Auch hier ist in den Briefen (vor allem die an Librettist Boito) immer wieder die szenische Absicht zu finden, die allerbeste Form für die dramatische Wirkung jedes musikalischen Details und generell der musikalischen Form zu finden.
So ist für mich jedes dynamische sowie artikulatorische Zeichen der Partitur, im Orchesterklang als auch bei den Sängern, unter dieser Perspektive zu erarbeiten. Die Partitur ist unglaublich differenziert und definiert in dieser Vielschichtigkeit einen enorm komplexen dramaturgischen Raum. Und das war damals so wichtig, dass Ricordi sogar eine szenische Anweisung für "Otello" verfasste, als Dokumentation für alle Theater, die "Otello" aufführen wollten. Es war mir auch eine große Freude, einige dieser Skizzen zu sehen. Aufgefallen ist mir auch, dass das hervorragende Libretto von Boito oft in wenigen Sätzen kondensiert, was Shakespeare ausführlicher gedichtet hatte (in der Oper fehlt sowieso der 1. Akt des Schauspiels in Venedig). So war es für mich von Bedeutung bezüglich bestimmter Melodien und Phrasierungsbögen auch Shakespeares Original wieder zu lesen, um die Charaktere noch genauer zu definieren.
Und übrigens, ich meine in der Partitur auch sehr viel "Lohengrin" wiederzufinden. 1871 wurde mit dieser Oper in Bologna erstmal ein Werk Wagners in Italien aufgeführt. Verdi (inkognito) und Boito müssen dieselbe Folgevorstellung besucht haben.
Frage: Wie sehen Ihre Pläne für Würzburg in den nächsten Jahren aus?
Antwort: Ich freue mich hier verlängert zu haben und auf dem Erfolg der letzten Jahre weiter aufzubauen, in der Oper wie auch im Konzertwesen, das Orchester weiter in der eigenen Stadt und in der Region mit einem breitgefächerten Repertoire zu etablieren und auch weitere CD-Einspielungen, die unsere erfolgreiche Zusammenarbeit dokumentieren, produzieren zu können.
Frage: Man spricht in der Stadt immer wieder von der enormen Qualitätssteigerung des Klangkörpers, der in den letzten Jahren zu erleben war.
Antwort: Es freut mich natürlich sehr, dass die Fachkritik zunehmender, regional und überregional, die Steigerung des Orchesters unterstreicht. Das ist natürlich das Ergebnis einer sehr offenen Zusammenarbeit, aber auch einer klaren Vorstellung, wo wir hin wollen. Wie soll heute ein Mozart auf modernem Instrumentarium klingen? Wie präsentieren wir dem heutigen Publikum, das ununterbrochen mit vielen anderen visuellen und akustischen Inputs lebt, die großen Dramen des italienischen oder deutschen Opernrepertoires? Welchen Teil des großen symphonischen Repertoires wollen wir präsentieren? Wie sorgen wir dafür, dass wir jedes Genre, von Pop/Musical bis zu Neue Musik, stilistisch überzeugend aufführen und dabei dennoch eine eigene Klangvorstellung mit dem Orchester entwickeln können? Alle diese Fragen sollte man sich kontinuierlich stellen, dann in der Arbeit neu überdenken und in Musik umsetzen. Das geht aber nur, wenn die Musiker offen und neugierig sind, und Ihre "Berufung" weiter in diesem Sinne erleben wollen. Und ich bin genau wegen dieser Situation sehr glücklich hier zu sein und mit diesen Musikern zusammenarbeiten zu dürfen.
(Die Fragen stellte Midou Grossmann.)
Mehr zu diesem Thema:
Drama pur: Grandiose "Otello"-Premiere am Mainfranken Theater Würzburg (18.10.2015 – 23:39 Uhr)
Otello am Mainfranken Theater Würzburg (17.10.2015 – 09:00 Uhr)
Link:
http://www.theaterwuerzburg.de
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