The Piano Guys: "Klassische Musik ist die perfekte Familienmusik"

11. Dezember 2014 - 13:06 Uhr

Berlin (mh) – Am Anfang standen selbstgemachte Internetvideos mit Bearbeitungen klassischer Kompositionen. Inzwischen haben "The Piano Guys" über 500 Millionen Klicks bei YouTube und eine ausverkaufte Welttournee. Ihre ersten beiden Alben behaupteten sich an den Spitzenpositionen der Billboard-Klassik-Charts. Auf ihrer vierten CD "Wonders", mit der sie gerade in Deutschland unterwegs waren, spannen sie einen Bogen von Musiken aus den "Batman"-Filmen bis zu "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky.

"The Piano Guys" sind der Pianist Jon Schmidt und der Cellist Steven Sharp Nelson sowie die Produzenten Paul Anderson und Al van der Beek. Im Interview mit dem Nachrichtenmagazin musik heute schilderten die vier Familienväter aus Utah/USA, warum sie ihr Publikum für klassische Musik begeistern wollen.

musik heute: Ihr tretet oft in Deutschland auf.

The Piano Guys

The Piano Guys

Steven: Ja, die meisten unserer Touren fanden in Deutschland statt. Wir lieben es hier, und die Fans unterstützen uns. Einen unserer ersten internationalen Auftritte hatten wir in Berlin, das war eine aufregende Zeit für uns. Wir hatten gerade erst angefangen und zwei Konzerte hintereinander waren ausverkauft. Die Deutschen scheinen klassische Musik sehr zu mögen. Zumindest schätzen sie unsere Musik für diese Facette.

musik heute: Euer Publikum sind Menschen jeden Alters.

Paul: Viele Leute bringen ihre Kinder mit, ganz kleine teilweise. Und sie alle freuen sich, wenn wir hinterher mit ihnen reden.

Al: Familie ist uns allen wichtig. Wir vier haben insgesamt 16 Kinder. Familien zusammenzubringen durch die Musik und die Videos ist eines der größten Dinge für uns.

Steven: Wir glauben, dass klassische Musik, wenn sie wirklich geschätzt wird, die beste Familienmusik ist. Denn sie kann von Jung und Alt geschätzt werden. Das wollen wir mit unserer Musik herüberbringen.

musik heute: Ihr wollt auch zeigen, wieviel Spaß klassische Musik machen kann.

Steven: Der Bezugsrahmen der Menschen, also wie sie klassische Musik normalerweise erleben, ist im Sinfoniekonzert. Denn das ist der beste Ort, um klassische Musik zu erleben. Sinfonien sind eine ernsthafte Sache, wenn auch auf eine sehr positive Art. Wenn Kinder in ein Sinfoniekonzert gehen, denken sie, dass klassische Musik grundsätzlich ernst ist. Aber das ist nicht mal ein Prozent von dem, was sie tatsächlich ist. Sicher, man muss ernst sein im Sinfoniekonzert, aber klassische Musik ist nicht immer ernsthaft. Viele Komponisten hatten eine Menge Sinn für Humor.

Jon: Das gilt auch für viele klassische Musiker wie Itzhak Perlman und Yo-Yo Ma.

Steven: Weil es so ernsthaft aussieht, denken die Leute, dass klassische Musik keinen Spaß macht. Tatsächlich ist sie aber die unterhaltsamste Musik, die es überhaupt gibt – meiner Meinung nach. Wir beide sind damit aufgewachsen und es hat unsere Leben bereichert. Wenn die Leute es entdecken, wird es auch ihr Leben bereichern. Es wird ihnen die Tür zu etwas sehr Tiefgründigem öffnen. Wenn ein Teenager klassische Musik entdeckt, kann das einen sehr positiven Effekt haben. Aus der Klassik ist alle Musik entstanden, die wir heute hören. Sie zu entdecken ist ungeheuer wichtig, für jeden Musiker.

CD-Cover "Wonders"

CD-Cover "Wonders"

Jon: Klassische Musik basiert auf einer Menge cooler Momente …

Al: … unvergessliche Melodien, die einem im Kopf bleiben und die man immer wieder hören will.

Steven: Das sind die besten Melodien der Welt, denn sie werden seit hunderten von Jahren gehört. Und in 100 Jahren wird man die meisten Popkünstler nicht mehr kennen. Aber Beethoven wird man immer noch aufführen und Mozart und Bach und und und…

musik heute: Eines Eurer Vorbilder ist der aus Dänemark stammende Pianist und Komiker Victor Borge.

Steven: Victor Borge war seit meiner Kindheit mein Vorbild. Ich habe ihn im Konzert erlebt und sah viele Leute um mich herum, die sonst nicht in klassische Konzerte gehen. Aber sie sind gekommen, weil er lustig war. Dann machte er eine Pause und sagte: 'Jetzt spiele ich "Clair de lune" von Debussy'. Und die Zuschauer meinten: 'Oh, das ist die schönste Musik, die ich je gehört habe.' Die selben Leute, die normalerweise klassische Musik abgelehnt hätten. Als ich mich umsah und erlebte, wie Victor Borge die Menschen zur klassischen Musik eingeladen hat, dachte ich: 'So will ich auch mal werden.'

musik heute: Wie war Euer erster Kontakt mit klassischer Musik?

Jon: Meine Eltern kommen aus Deutschland, durch sie habe ich seit frühester Kindheit klassische Musik gehört. Mein Vater war Opernsänger, und meine Schwester hat ihn auf dem Klavier begleitet. Dadurch habe ich die deutschen Kunstlieder kennengelernt, von Schubert, Mendelssohn, Schumann oder Beethoven.

Steven: Hey, das waren ja alles Deutsche! All diese großen Musiker! – Mein Vater ist Violaspieler und meine Mutter war Opernsängern, sie lebt nicht mehr. Sie hat ihre Karriere aufgegeben, um meine Mutter zu sein. Sie hat mich und meine Geschwister mit klassischer Musik aufgezogen. Meine Mutter singen und meinen Vater die Viola spielen zu hören – sie waren so leidenschaftlich dabei und haben es so sehr geliebt, dass ich gar nicht anders konnte als die Kunst aufzugreifen. In unserem Haus konnte man erleben, wie erstaunlich Musik sein kann, einfach dadurch, wie meine Eltern sie gespielt haben. So haben sie mir das beigebracht. Als Kind habe ich vor dem Einschlafen das Cellokonzert von Dvořák gehört, jeden Abend. Und sie haben mich in Sinfoniekonzerte mitgenommen, wobei mir mein Vater gezeigt hat, wie diese Musik funktioniert. Als Kind braucht man das einfach. 'Achte mal darauf, wie Posaunen auf die Hörner antworten, ist das nicht cool?" – Ja! Es war cool! Insofern war die Ausbildung so wertvoll.

musik heute: Was haben Eure Altersgenossen dazu gesagt, als Ihr klassische Musik gemacht habt?

The Piano Guys

The Piano Guys

Jon: Ich hatte ein cooles Erlebnis in der 5. Klasse. Unsere Musiklehrerin spielte Mozarts zwölf Variationen auf "Morgen kommt der Weihnachtsmann". Damit wollte sie uns Kreativität vorführen. Dann sah sie mich an und sagte: 'Ich könnte mir vorstellen, dass du das spielen kannst, Jon.' Also habe ich mich hingesetzt und diese Variationen geübt. Als ich es dann vor der Klasse gespielt habe, dachte ich, sie werden es wohl in Ordnung finden. Aber was ich nach dem letzten Akkord erlebte, war einfach überwältigend. Meine Klassenkameraden haben echt gejubelt. Das war ein beeindruckendes Erlebnis. Und das war eine tolle Lehrerin, die mich für die Musik begeistert hat.

Steven: Es erfordert Mut, mit einem Cello-Kasten in die Schule zu kommen, denn manche Leute könnten sich lustig machen. Aber es ist nicht peinlich, klassische Musik zu machen. Ich war sehr selbstsicher und habe meinen Freunden gezeigt, dass das echt cool ist. Dabei merkten sie, wie viel Freude ich daran habe. Wenn wir im Auto saßen und U2 hörten, die ich auch liebe, meinte ich: 'O.k. und jetzt Brahms, der ist echt cool, hört euch den mal an.' Ich erinnere mich, dass ich mit 20 Freunden in ein klassisches Konzert gegangen bin, in die Sinfonie "Aus der Neuen Welt" von Dvořák, eines der großartigsten Stücke überhaupt. Und ich wies sie auf besondere Stellen hin, auf die sie achten sollten.

Al: Ich bin mit der Geige großgeworden, mein Bruder ist klassischer Pianist. Bei uns zu Hause war ständig klassische Musik. Es wurde gesungen, mein Vater hat Harmonika und Akkordeon gespielt. Als ich neun oder zehn war, ging mein Vater mit mir in einen Musikladen. Ich ging zielstrebig zu den Saxophonen, aber mein Vater sagte: 'Die Violinen sind hier drüben.' Aber ich wollte doch Saxophon spielen. Da sagte er: 'Sohn, wenn du Violine spielst, wirst Du mich zum glücklichsten Vater der Welt machen.' So bin ich an dem Tag mit einer Violine nach Hause gekommen.

Steven: Fast jeder erfolgreiche Streicher hat engagierte Eltern. Denn es ist so schwierig, einen schönen Ton aus so einem Instrument zu holen. Deshalb musst du dich mit deinen Kindern zusammensetzen und sie unterrichten. Meine kleine Tochter spielt Violine, ebenso meine Frau. Und sie sitzt mit ihr immer zusammen wenn sie übt. Das ist nichts, womit man ein Kind alleine lassen kann: 'Viel Erfolg!' Es braucht engagierte Eltern. Meine Eltern und seine (zeigt auf Jon) und seine (Al) sind engagierte Eltern. Und dank ihrer sitzen wir heute auf der Bühne.

Paul: Ich bin der Einzige in der Truppe, der klassische Musik gar nicht mochte. Ich habe sie nicht verstanden. Aber dann habe ich Jon und Steven kennengelernt und zugehört, wie sie über die Musik gesprochen haben und habe mich in diese Musik echt verliebt. Insofern kann man mich als bekehrt bezeichnen.

musik heute: Klassik-Neulinge finden leichteren Zugang zu der Musik, wenn ihnen Melodien bekannt sind. Das nutzt Ihr auch zum Einstieg.

The Piano Guys

The Piano Guys

Steven: Genau, wir laden die Leute ein, in dem wir Melodien nutzen, die ihnen vertraut sind. Nehmen wir man zum Beispiel Gustav Holsts "Jupiter" oder Bachs Jagdkantate BWV 208, das sind Melodien, die die Zuhörer erkennen. Das verbinden wir mit Musik von Taylor Swift und sagen: 'Hör mal, wenn Du das eine magst, gefällt dir vielleicht auch das andere.' Auf unserer YouTube-Seite weisen wir die Besucher immer auf die originalen klassischen Stücke hin. Also wenn die Leute die Taylor-Swift-Musik mögen, sagen wir: 'o.k., dann hört euch doch auch mal die Originalmusik – Bachs Jagdkantate – in diesem Video an.' Wir entdecken immer wieder Kommentare von Leuten, die von uns gekommen sind und Sachen schreiben wie: 'Ich liebe diese Musik und hätte sie nie entdeckt, wenn The Piano Guys nicht darauf hingewiesen hätten.' Das macht uns dankbar und zufrieden.

Paul: Die Videos sind dabei ein wichtiger Bestandteil. Dadurch sind wir bekanntgeworden. Die Musik ist und bleibt natürlich der wichtigste Teil. Aber wenn man auf YouTube Musik hochlädt nur mit einen schwarzen Standbild, wird sich das kaum verbreiten. Auf YouTube ist es wichtig, immer auch einen visuellen Aspekt hinzuzufügen. Das gibt dem Publikum einen Bezugsrahmen. Und ich mag es sehr, die Musik zu bereichern. Es ist zum Beispiel wichtig, die Gesichter der Musiker beim Spielen beobachten zu können. Die Leute sagen dann immer: 'Hey, ihr seht so glücklich aus!" und das wiederum inspiriert sie. Wir bekommen Anrufe von Schulen aus aller Welt und manche sagen sogar: 'Wegen der Piano Guys haben wir all unser Geld für Cellos ausgegeben', weil so viele Schüler das Instrument spielen wollen.

(Die Fragen stellten Sarah Thust und Wieland Aschinger.)

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Links:

http://www.thepianoguys.com (Offizielle Website)
http://www.youtube.com/channel/UCH6A9xXoT4vISA1nt7IQ5kQ (Offizieller deutscher YouTube-Kanal)

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